Haben an euren Missgeschicken eigentlich auch immer die Anderen Schuld?
Bei mir ist das zweifellos so. Die nachstehende Geschichte soll das belegen.
Vor vielen, vielen Jahren riss mich eines Morgens mein Wecker aus meinem glückseligen Schlaf. Mein Frau hatte bereits das Haus verlassen, draußen war es noch stockfinster und ich hundemüde.
Da alles nichts half, machte ich mich auf zu Rasur, Körperhygiene, kämmen, ankleiden.
(red. Anmerkung: "kämmen", daran erkennt man, wie lange das schon her sein muß)
Frühstück ist zu dieser nachtschlafender Zeit übrigens ein Fremdwort für mich.
Wie auch immer, zur damaligen Zeit war es für mich ein Ritual, noch in Ruhe eine Zigarette zu rauchen, bevor ich aus dem Haus ging.
Ich tat dies wie üblich im Wohnzimmer auf der Couch.
(red. Anmerkung: Jaaa doch, damals hat man noch ohne schlechtes Gewissen in der Wohnung geraucht...)
Da ich wie erwähnt noch seeehr müde war, ließ ich das Licht aus. Nur ein zarter Lichtkegel vom Flur aus erreichte durch das Milchglas der Wohnzimmertür die gute Stube.
Zum Rauchen an sich genügt das ja auch absolut.
Und wie ich so den Rauch vor mich hin puste, sehe ich im Dämmerlicht eine kleine runde Kugel auf dem Wonzimmertisch liegen. Ich hob sie auf, und dachte mir, meine Güte, was habe ich doch für eine phantastische Ehefrau. Sie ist die warmherzigste, gütigste, liebste und Beste von allen. Schon am frühen Morgen denkt sie an mich und legt mir eine leckere Praline auf den Tisch, um mir damit den beginnenden Arbeitstag zu versüßen!
Wie ihr wisst, gehört die Spezies Hecht zur Gattung der Raubfische. Ein derartiges Leckerli wird keinesfalls liegenlassen oder gar aufgespart, sondern an Ort und Stelle und umgehend vertilgt.
Dachte es und biß sogleich in die äußere Hülle der Praline. Ich kaute freudig von links nach rechts und wieder zurück. Nach einem Moment Kauen wunderte ich mich über die ungewohnte Zähigkeit der Glasur.
Ich sah - immer noch im Halbdunkel sitzend - auf die angebissene Praline, und glaubte zu erkennen, dass sie im Mittelteil noch dunkler als außen herum war.
Aaaah, das ist bestimmt eine besonders leckere Füllung.
Und sogleich biß ich nun beherzter zu...
Doch anstatt schokoladigen Weingeistern zu frönen, gaben mir meine Geschmacksrezeptoren zu verstehen, dass es sich unmöglich um eine Praline handeln könne. Nicht nur das, der Geschmack war gar völlig fremdartig!
Und auf einmal kaute ich auf etwas Festem, scheinbar Verbranntem herum.
Ich zog es vorsichtig aus dem Mund, stand auf, betätigte den Lichtschalter und erkannte...
einen Docht!
Dieses elende, nichtsnutzige, charakterlose und lieblose Miststück von Ehefrau hatte am Abend den heruntergebrannten Kerzenstummel aus dem Ständer geklopft und so einfach mir nichts, dir nichts auf dem Tisch liegen lassen!
Ich versuchte den halben Tag lang die Wachsreste aus dem Zahnwerk und den Geschmack los zu bekommen. Da ihr bestimmt alle auch schon einmal eine Kerze gegessen habt, wisst ihr ja sicherlich, wie schwierig sich das gestalten kann.
Sellbstredlich musste sich meine Gattin am Abend eine gehörige Stammpauke anhören.
Sie reagierte darauf auch mit vielen Tränen -
allerdings vor Lachen.
Warum nimmt man die armen Hechte und deren unverschuldete Missgeschicke nur so wenig ernst?
Ach ja, geholfen hat das alles übrigens sowieso nichts, denn sie ist heute noch immer mit mir verheiratet.
der hecht
